Publication 10/01/2010
1st of October 2010 (print edition), Industriemagazin
Mensch gegen Maschine
Die Verwerfungen auf den Absatzmärkten im Zuge der Wirtschaftskrise scheinen österreichische Unternehmen in ihrer Haltung zu bestätigen: Partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen werden Effizienzgewinnen im E-Procurement vorgezogen.
Georg Haas ist ein Krisengewinner: „Wir sind in den letzten Jahren deutlich gewachsen", sagt der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Spring Procurement. Die Berater sind in einem Markt beheimatet, der in Zeiten von Kostendruck und volatilen Rohstoffpreisen boomt: Der Beschaffungsoptimierung. Und doch dürfte in diesem Bereich in Österreich noch reichlich Potenzial vorhanden sein: So ist etwa die Marktdurchdringung von elektronischen Beschaffungslösungen nach wie vor nicht besonders hoch: 52 Prozent der Einkaufsabteilungen arbeiten gänzlich ohne elektronisches Beschaffungssystem. Das ergab eine Studie der Berater in Zusammenarbeit mit dem Institut für Transportwirtschaft und Logistik der WU Wien. Und selbst jene Unternehmen, die elektronisch beschaffen, tun dies nur in geringem Umfang: Kaum ein Unternehmen gab an, mehr als 25 Prozent des Einkaufsvolumens per Mausklick zu ordern.
Fortschritt in Teilbereichen.
Österreich hinkt, so meinen die Anbieter von Softwarelösungen, im internationalen Umfeld nach. So macht etwa das heimische Unternehmen Selected Services mehr als drei Viertel des Umsatzes in Deutschland. Dort sei man vielerorts schon viel weiter auf dem Weg hin zu einem strategischen Einkaufsmanagement, sagt Thomas Dieringer, Geschäftsführer von Selected Services: „In Österreich dagegen zieht die Nachfrage seit ungefähr einem Jahr vermehrt an." Der Branchenvertreter sieht das etwas anders: „Ab dem Jahr 2000 gab es einen Riesenhype rund um das Thema E-Procurement. Es hat sich aber nicht so stark entwickelt wie vorhergesagt. Was sich durchgesetzt hat, sind Firmenkataloge und Desktop-Purchasing sowie Sourcing-Tools", sagt Heinz Pechek, geschäftsführender Vorstand beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ).
Gegen den Einkaufswildwuchs.
Pechek spricht damit genau jene Bereiche an, in denen E-Procurement sehr gut helfen kann, den Einkauf sparsamer und intelligenter zu gestalten. So ist etwa ein oftmals unterschätztes Problem in den Unternehmen das sogenannte Maverick Buying. Im Schnitt wird etwa ein Viertel aller Einkäufe unter Ausschluss der Einkaufsabteilung getätigt. „Irgendwo gibt es das in fast jedem Unternehmen", sagt Berater Haas: „Sei es beim Fuhrpark, in der IT oder in anderen Abteilungen." Damit verliert das Unternehmen aber die zentrale Hoheit über die Beschaffungskosten. Allein hier können im branchenübergreifenden Schnitt 15 Prozent der Einkaufskosten gespart werden. Mit Beschaffungssoftware kann man in diesem Bereich sehr gute Ergebnisse erzielen. In solchen unternehmensinternen Katalogen oder Shops können Mitarbeiter eigenständig bestellen, sofern sie eine Freigabe vom Kostenstellenleiter haben. Der Katalog listet eine Reihe von Standardobjekten zu mit dem Lieferanten vorab ausverhandelten Konditionen auf. Der Mitarbeiter setzt sich seine Bestellung innerhalb des vorgegebenen Rahmens zusammen.
Alles über einen Weg.
Die operative Beschaffung wird automatisiert, der Einkauf gibt nur mehr die Grundeinstellungen vor. So werden etwa beim Automobilzulieferer AVL-List Produktkategorien wie Diensthandys, Werkzeug, Messtechnik, EDV-Geräte und Büromaterial nur mehr über eine solche E-Procurement-Plattform beschafft, die vom österreichischen Anbieter DIG entwickelt wurde. Die Mitarbeiter können über eine ins ERP-System integrierte Maske auf die Kataloge zugreifen und ihren persönlichen Warenkorb befüllen. Nach erfolgter Bestellung geht der Auftrag durch die Genehmigungsinstanzen und wird nach Freigabe noch einmal ins Rechenzentrum von Anbieter AVL geschickt, wo die Bestellung konvertiert und direkt ins ERP-System der entsprechenden Lieferanten gespeist wird. „So verfügen wir über eine einheitliche, lieferantenunabhängige Bestellplattform. Der elektronische Belegaustausch mit den Kataloglieferanten ist vollständig in unsere bestehenden SAP-Prozesse integriert", sagt Sandra Hoch, die das Projekt im AVL-Einkauf begleitet hat.
Nachrüsten.
Derartige Lösungen können eine Vielzahl repetitiver Prozesse automatisieren, die in vielen Unternehmen nach wie vor händisch erledigt werden. Für Unternehmen bis in den Mittelstand hinein kann es sich lohnen, die Angebote an Katalog- und Beschaffungsplattformen zu prüfen. Natürlich muss aber von Fall zu Fall berechnet werden, was sich für das eigene Unternehmen wirklich auszahlt. Teurer wird ein elektronisch geregelter Einkauf von Büromaterialien für ein kleines Unternehmen langfristig nicht kommen - ob der Implementierungsaufwand hier wirklich nötig ist, ist dagegen eine andere Frage. Bei der Suche nach dem richtigen Anbieter sollte man sich in jedem Fall von Insellösungen fernhalten, wie es sie derzeit noch für einzelne Teilbereiche gibt. Langfristig, so schätzt Haas, werden sich nur die Komplettanbieter aus dem Bereich elektronischer Beschaffung durchsetzen. Sie bieten den Kunden eine Modulstruktur, die es ermöglicht, zu einem späteren Zeitpunkt zu erweitern und nachzurüsten, ohne sich das x-te neue IT-System ins Haus zu holen.
Veränderung fernab von IT.
Andere Herausforderungen für den Einkauf erfordern aber viel eher eine Veränderung der Mentalität als die Anschaffung neuer Systeme. Ein wichtiges Thema ist Global Sourcing. Heute werden nach wie vor 60 Prozent der Beschaffungsvorgänge im deutschsprachigen Raum getätigt. Hier gehen Bequemlichkeit und eingefahrene Strukturen oft vor Kostenersparnis. Für die in der eingangs erwähnten Studie befragten Einkaufsmanager steht fest, dass sich mittelfristig mehr in Richtung Osteuropa, China und Indien bewegen wird, als das noch heute der Fall ist. Von Anbieterseite kommt immer wieder auch das Thema Auktionen auf den Tisch - sie ließen sich hervorragend IT-gestützt managen. Im angelsächsischen Raum sind sie an der Tagesordnung, hierzulande gibt es aber nach wie vor ganz wenige, die auf die zweifellos effiziente Ausschreibungsvariante vertrauen. Es kommt vor allem auf die Macht der jeweiligen Lieferanten an. „Ich habe das selbst am Beispiel eines Chemikalienlieferanten erlebt: in Bereichen mit mächtigen Lieferanten spielen die oft gar nicht mit. Sie lassen sich vielleicht anfangs auf eine IT-gestützte Auktion ein, wollen dann aber noch einmal von Angesicht zu Angesicht den Preis noch einmal nachverhandeln", sagt Haas. Genau diese Sorgen bringt ein Einkaufsmanager aus einem Großunternehmen auf den Punkt, das gerade einige E-Procurement-Lösungen prüft: „Ich habe eine beeindruckende Präsentation über die Möglichkeiten elektronischer Systeme gesehen. In dem Moment, wo sie die persönlichen Beziehungen zu meinen starken Lieferanten stören könnten, steige ich aber aus." Gerade im operativen Bereich, wo stark automatisiert werden kann, gibt es gute Einsatzbereiche für elektronische Beschaffungslösungen. Im strategischen Bereich zählt aber vor allem der menschliche Faktor. „Entscheidend ist ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Lieferanten. Das war in der Krise ein Erfolgsfaktor für viele Unternehmen. Außerdem kommt es im Unternehmen stark auf die Zusammenarbeit zwischen Einkauf, Finanzbereich und Entwicklung an", sagt Pechek. Beides Dinge, für die keine vorgefertigten IT-lösungen auf dem Tisch liegen.
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