Publikation 02/03/200902.03.2009 (Printausgabe), aktuellASIA
Chance Asien
In den letzten Jahren hat Asien, und insbesondere China, durch Wirtschaftswachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich und umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur für Schlagzeilen gesorgt. Durch einen nicht enden wollenden Strom an Wanderarbeitern mit niedrigen Lohnkosten können westliche Unternehmen durch Produktionsverlagerungen nach Asien Milliarden sparen.
Aber auch wenn man nicht selbst in Asien produziert bieten sich in Asien Einsparungschancen durch günstige Beschaffungsmöglichkeiten. Diese Einsparungsmöglichkeiten wurden in den vergangenen Jahren im Zuge der „Global Sourcing-Bewegung“ teilweise gehoben. Doch nach wie vor zeigt sich außerordentliches Potenzial in der globalen Beschaffung, da jene Unternehmen, die internationale Beschaffungsmärkte für sich nutzen, immer noch in der Minderheit sind. So hat eine unserer Studien (Ist der Einkauf „fit“ für die Krise) kürzlich ergeben, dass 87 Prozent der mittelständischen Unternehmen über die Hälfte ihrer benötigten Güter ausschließlich im deutschsprachigen Raum beschaffen.
Doch wer von Asien profitieren will, muss entsprechend vorbereitet sein und lernen mit den lokalen Gegebenheiten umzugehen. Die geographische, kulturelle und politische Vielfalt in Asien stellt besondere Anforderungen an Unternehmen, die in diesen Regionen agieren. So gibt es zum Teil extreme Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern - Regionen wie Indien, China und Südostasien sind in der Entwicklung ihrer Logistikinfrastruktur zumindest teilweise rückständig, während Japan schon seit längerem zu den hoch industrialisierten Ländern mit entsprechender Infrastruktur zählt. Diese Divergenz, was den Entwicklungsstand der Infrastruktur anbelangt, stellt in Folge auch Herausforderungen an die Logistikoperationen der Unternehmen; für beides, sowohl für Beschaffungslogistik als auch für Logistik zum Transport von Halb- und Fertigerzeugnissen aus Produktionsanlagen in Asien.
China - Unterschiede zwischen Ost und West
Die hohen Wachstumsraten in Chinas Wirtschaft ließen jedoch die Lohn- und Standortkosten sukzessive in die Höhe schnellen. Insbesondere in den durch die Nähe zu den Containerhäfen beliebten Küstenregionen, wodurch immer mehr Unternehmen ihre Fertigung ins Hinterland verlegt haben. Daher haben in der jüngeren Vergangenheit die Binnenschifffahrt und der Straßentransport einen wahren Boom erlebt. So hat sich das Straßennetz in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht und entspricht nun fast dem europäischen Standard mit ausgebauten und modernen Schnellstraßen etwa in und um Shanghai. Je weiter man sich aber von den Ballungszentren entfernt desto schlechter wird die Qualität der Straßen. Auch das Transportvolumen auf den Hauptwasserwegen des Yangtze-Flusses ist stark zunehmend und hat im Jahr 2007 1,1 Milliarden Tonnen überschritten. Dies entspricht der 15-fachen Menge, die auf dieser Strecke über die Bahn abgewickelt wird.
Das Schienennetz in China spielt für den Güterverkehr, abgesehen von Kohletransporten, keine große Rolle, da die noch schlecht ausgebauten Strecken keine hohen Geschwindigkeiten zulassen. Die Strecke Hongkong - Shanghai wird von einem Güterzug in fünf Tagen bewältigt. Selbst ein Schiff benötigt in etwa die gleiche Zeit ist aber deutlich preiswerter. Mithilfe ausländischer Investoren versucht China aber das Schienennetz auszubauen und attraktiver zu machen. Die Deutsche Bahn ist nach wie vor sehr bestrebt eine Zugverbindung von Peking nach Hamburg zu etablieren, die diese in 14 Tagen bewältigt. Sollten diese Züge in regelmäßigen Abständen fahren, könnten sie einen signifikanten Anteil der Fracht von Containerschiffen und Frachtflugzeugen übernehmen.
Die Städte Hongkong und Shanghai sind die wichtigsten Logistikdrehkreuze des Landes, wobei Hongkong mit dem zweitgrößten Containerhafen der Welt (ca. 23 Millionen TEU pro Jahr) und dem zweitgrößten Frachtflughafen der Welt (ca. 3,61 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr) eine noch wichtigere Rolle als Shanghai einnimmt. Zusätzliche Wichtigkeit erlangt die Region um die ehemalige britische Kronkolonie im Perlflussdelta durch die Städte Shenzhen und Guangzhou, die in den letzten zwei Jahrzehnten einen großen Boom erlebt haben. So ist zum Beispiel Shenzhen seit 1979 von 30.000 Einwohnern auf heute mehr als 12 Millionen Einwohner angewachsen und beheimatet den viertgrößten Containerhafen der Welt (18,4 Millionen TEU). Der Hafen in Shanghai hingegen schlägt 21,7 Millionen TEU um und ist damit der drittgrößte der Welt. Europas größter Hafen Rotterdam schlägt im Vergleich nur 9,7 Millionen TEU um. Darüber hinaus plant Shanghai momentan den größten Logistikpark Chinas (8,9 km2) zu errichten, um die Lagerkapazitäten weiter zu erhöhen.
Chinas Führung hat also die Wichtigkeit einer gut ausgebauten Logistikinfrastruktur bereits erkannt, nun gilt es auch im Bereich der Ausbildung von Logistikexperten und Managern Akzente zu setzen. Bisher waren chinesische Logistikunternehmen sehr stark auf die Expertise von ausländischen Fachkräften und Managern angewiesen. Diese haben jedoch den Nachteil, dass sie die chinesische Sprache und Kultur oft nur rudimentär verstehen. Durch das weiterhin starke Wachstum in China und den damit einhergehenden massiven Investitionen im Logistikbereich entsteht ein immer größer werdender Mangel an gut ausgebildeten Supply Chain Managern im mittleren und Top Management. Es wird davon ausgegangen, dass in diesem Bereich, bei gleich bleibendem Wachstum, in den nächsten fünf Jahren etwa 50.000 zusätzliche Führungskräfte benötigt werden. Größtes Ausbildungsdefizit ist derzeit noch die Vermittlung von entsprechenden Englischkenntnissen. Chinesische Lieferanten bieten größtenteils exzellente Produktqualität, aber wenn es um die Implementierung der Supply Chain geht, greifen viele europäische Abnehmer doch lieber zu einheimischen Lieferanten. Oft scheitert es an den sprachlichen oder kulturellen Barrieren - ohne einen Experten, der Zugang zum Markt hat, ist man oft chancenlos. Hat man sich in Sachen Beschaffung nach China gewagt, ist es neben der abwicklungstechnischen Kompetenz auch wichtig, sich mit verschiedenen Usancen der Preisgestaltung vertraut zu machen. So sollten europäische Unternehmen bei Importen aus China auch immer die Ex Works-Preise mit den CIF-Preisen vergleichen, da es vorkommt, dass chinesische Lieferanten auch auf den Transport eine Marge aufschlagen. Hier lohnt es sich meist, sich selbst um den Transport zu kümmern, da dadurch erhebliche Einsparungen zu realisieren sind. Dafür ist es aber nötig sich mit den Zollbestimmungen und rechtlichen Rahmenbedingungen für Transporte auseinanderzusetzen, damit es nicht zu versteckten Kosten kommt.
Indien - Reichlich Aufholbedarf
Ganz anders ist die Situation in Indien. Obwohl das Land eine denkbar günstige geografische Lage zwischen Asien und Europa hat und eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde ist, spielte es in der Weltwirtschaft lange Zeit keine entscheidende Rolle. Erst in den letzten Jahren ist es gelungen, als Wirtschaftsmacht verstärkt in Erscheinung zu treten. Mit einem BIP von 1.099 Milliarden US-Dollar ist Indien die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dennoch hat Indien besonders aus logistischer Perspektive noch stark aufzuholen, um zu den großen Industrienationen der Welt und vor allem China aufschließen zu können. Das Himalaja-Massiv begrenzt das Land im Norden, was den Bau von Straßen und Schienen in dieser Region deutlich erschwert. Die indische Halbinsel im Süden hingegen bietet gute Standorte für Seehäfen wie zum Beispiel Mumbai. Dennoch wird dieser Hafen von Logistikern gerne gemieden, da die durchschnittliche Verweilzeit mit einigen Tagen (anstatt von Stunden) in diesem deutlich länger ist als in den benachbarten Häfen Colombo und Singapur. Die lange Verweilzeit entsteht durch das System im Hafen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Häfen, in denen die Schiffseigner eine eigene Crew zum Be- und Entladen des Schiffs anstellen, gibt es in Mumbai eine fix angestellte Arbeiterschaft der man nachsagt die Ladevorgänge zu verzögern um die Verweildauer im Hafen zu erhöhen, für die die Hafenbehörde Port Authority Trust, Gebühren verlangt. Der größte Containerhafen Indiens, der Jawaharal-Nerhu-Hafen arbeitet zwar etwas effizienter, trotzdem schafft er nur etwa ein Zehntel des Jahresumschlagvolumens von Hongkong. Nicht nur der Import von Waren wird behindert, auch der Export leidet an den schlecht funktionierenden Häfen. Exporteure sehen sich häufig gezwungen auf andere Häfen auszuweichen. Indien dürfte es daher in den nächsten Jahren schwer haben, sich als globale Logistikdrehscheibe zu positionieren, da auch der Straßenverkehr in Indien noch nicht westlichen Standards entspricht und selbst mit dem chinesischen Straßennetz nicht mithalten kann. Zwar ist das Straßennetz mit 3,3 Millionen Kilometern eines der längsten der Welt, doch durch die schlecht ausgebauten Straßen ist es für Lastwägen nicht möglich, dieses in, für europäische Verhältnisse, vernünftigen Zeiten zu bewältigen. So benötigt ein LKW von New Delhi nach Bangalore bis zu sechs Tage obwohl die Strecke nur knapp über 2.000 Kilometer lang ist. Bestrebungen den Güterverkehr auf die Schienen zu verlegen scheitern aber an der mangelnden Infrastruktur des Schienennetzes, das noch nicht an allen Strecken für Containerzüge geeignet ist. Problematisch ist auch, dass kein einheitlicher Standard für Schienen existiert, da momentan noch vier verschiedene Spurweiten im Land verwendet werden. Etwa drei Viertel des bestehenden Schienennetzes von insgesamt 63.000 Kilometern ist noch nicht elektrifiziert, zusätzlich müsste die Anbindung an Häfen und Flughäfen verbessert werden. Dennoch hat Indien neben den Schwächen im Bereich der Infrastruktur im Vergleich zu China deutlich geringere sprachliche Hürden. Da die Amtssprache Englisch ist, wird die Kommunikation mit europäischen und amerikanischen Abnehmern deutlich erleichtert. Entsprechende Vorbereitung (Testlieferungen) und das Einplanen von Lieferverzögerungen bei der Bestellung von Waren aus Indien sollte die häufigsten Probleme bei der Beschaffung aus dem Weg räumen und somit die Nutzung komparativer Kostenvorteile ermöglichen. Ein weiterer Punkt der für Indien spricht ist der durch den britischen Einfluss etablierte Rechtstaat und die funktionierende Demokratie. Im 11. Fünfjahresplan wurde festgelegt, dass in Indien bis 2012 über 320 Milliarden Dollar in die Infrastruktur (Energie, Straße, Schiene) investiert werden sollen. Aufgrund dieser Investitionen wird Indien im Eiltempo seine Logistikinfrastruktur verbessern. Rund um Ballungsräume werden europäische Standards zunehmend erreicht werden. Um allerdings flächendeckend ein lückenloses Netz zu erhalten müssen noch einige weitere Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden.
Conclusio
Der Vergleich dieser beiden Länder zeigt deutlich, wie groß die Unterschiede in Sachen logistischer Infrastruktur in Asien sind. Beide Länder haben in den letzten Jahren massiv aufgeholt, müssen aber in einigen Bereichen noch ihre Hausaufgaben erledigen. Um am Puls der Zeit zu bleiben ist ein verstärktes Asien-Engagement vor allem jenen Unternehmen anzuraten, die bislang noch hauptsächlich lokal und innereuropäisch agieren. Gerade in Zeiten einer Rezession und drastisch sinkenden Transportkosten können sowohl durch Produktionsverlagerung als auch durch Global Sourcing massiv Kosten gespart werden. Wer in der Krise nur an Kündigungen denkt, ist selbst schuld, wenn er im nächsten Aufschwung wieder unter einem Fachkräftemangel leidet. Tatsächlich könnte vielen Arbeitnehmern die Kündigung durch ein verstärktes globales Engagement im Einkauf und den damit einhergehenden Kostensenkungen erspart bleiben. So sollte die Krise auch als Chance gesehen werden und Mitarbeiter verstärkt für ein globaleres Agieren geschult werden. Unsere Studie über die „Krisen-Fitness“ im Einkauf der mittelständischen Unternehmen hat gezeigt, dass Defizite in der Vermittlung einkaufsrelevanter Fähigkeiten vor allem bei den Fremdsprachenkenntnissen zu Tage treten. Schwierigkeiten im internationalen Handel immer nur auf ausländische Handelspartner zu schieben gilt heutzutage nur als müde Ausrede. Auch europäische Einkäufer und Supply Chain Manager müssen aufholen, um eine nachhaltige Verflechtung beider Kontinente zu ermöglichen. Gerade in Märkten, in denen die logistischen Standards noch nicht jenen in Westeuropa entsprechen, sich aber rasch weiterentwickeln.
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